9. November: Gedenken an die Revolution 1918

Gedenkworte von Gesine Stück, Vorsitzende der SPD Kiel, zum Jahrestag des Kieler Matrosenaufstands am 9. November 1918. Gemeinsame Kranzniederlegung der SPD Kiel und der DGB Region Kiel.

Gesine Stück steht vor dem Breuste-Denkmal und hält eine Rede
Bild: Bernd Löwner

Liebe Anwesende,

als wir uns vor einem Jahr hier versammelten, war es nur wenige Monate her, dass Putin in die Ukraine eingefallen war. Schon das war ein Schock, die Welt hatte sich für uns grundlegend verändert. Und doch haben wir damals gehofft, dass wir in 2023 wieder im Frieden zusammenkommen könnten.

Davon sind wir weit entfernt, die Ukraine kämpft weiter um ihre Freiheit und ihr Überleben als Staat, jeden Tag sterben Menschen, werden Gebäude und Landschaften zerstört. Ein Ende ist nicht in Sicht.

Und nun hat auch noch die Hamas mit ihrem Terrorakt in Israel eine neue Spirale der Gewalt ausgelöst. Auch Israel kämpft um sein Überleben. Und eine Lösung der humanitären Katastrophe in Palästina ist in weite Ferne gerückt.

Und hier? Jüdinnen und Juden werden in Deutschland massiv beschimpft und bedroht, mitunter sogar angegriffen. Das ist unerträglich! Wir treffen uns hier, um dem Kieler Matrosenaufstand zu gedenken, aber das tun wir natürlich in dem Bewusstsein, dass die Reichsprogromnacht vor 85 Jahren vom 9. auf den 10. November 1938 stattgefunden hat. Zehntausende Jüdinnen und Juden wurden verhaftet, misshandelt, gedemütigt und viele getötet sowie in den Tod getrieben.

Diese Gedanken begleiten mich derzeit jeden Tag. Und besonders natürlich heute.

Wir sind heute hier, um am Tag des Kieler Matrosenaufstands an die tapferen Menschen zu erinnern, die vor nunmehr 105 Jahren mit ihrer Gegenwehr gegen den Krieg, gegen das Kaiserreich die deutsche Revolution auslösten. Wie wir heute wollten sie zuallererst Frieden. Sie weigerten sich, in einem Krieg verheizt zu werden, der wenige reicher, die meisten aber arm und notleidend machte und der schon Millionen sinnlose Opfer gefordert hatte.

Aus diesem persönlichen Wunsch erwuchs etwas Größeres. Zum Verlangen nach Frieden kam der Anspruch, menschlich und respektvoll behandelt zu werden. Kam die Forderung, gleichberechtigt die Politik mitgestalten zu können. Aus diesen Forderungen erwuchs die erste Demokratie in Deutschland. Sie hatte in der Weimarer Republik keinen Bestand, weil zu wenige Menschen sich ihr verpflichtet fühlten. Zu wenige Menschen haben sich dagegen gewehrt, dass sich eine menschenverachtende Ideologie in der Bevölkerung ausbreitete.

Erst die vernichtende Niederlage Deutschlands gab dem Gedanken der Demokratie wieder Raum. Sie hat jetzt 75 Jahre Zeit gehabt, sich zu entwickeln, zu wachsen und Wege zu finden – auf den Schultern der Revolutionäre von 1918.

Daran müssen wir immer wieder und nachdrücklich erinnern. Denn wir merken, dass wir in einer Zeit leben, in der die Politik immer komplizierter wird. Wir leben in einer Zeit, in der alles, aber auch alles sich künstlich erschaffen lässt. Es ist kaum noch zu erkennen, was Wahrheit und was Fälschung ist. So eine Situation überfordert viele Menschen; sie sind erschöpft und hören auf einfache Antworten.

Wir müssen feststellen, dass die Wahlbeteiligung sinkt, dass das allgemeine Engagement in politischen Fragen abnimmt. Wir müssen mit ansehen, wie die Wahlergebnisse steigen für Parteien, die unsere Demokratie nicht wollen. Diese Parteien stellen die grundlegenden Prinzipien unserer Gesellschaft in Frage.

Liebe Anwesenden,

wir müssen wieder um unsere Demokratie kämpfen – mit friedlichen und rechtsstaatlichen Mitteln, aber entschiedener, als es zur Zeit oft geschieht.

Die Revolutionäre von 1918 mussten Gewalt anwenden, denn ihnen standen Kräfte gegenüber, die nichts anderes kannten als Gewalt. Aber sie hatten ein friedliches, ein gesellschaftspolitisches Ziel, und sie errichteten eine neue politische Ordnung. Darin sind sie uns bis heute Vorbild.