SPD Kiel: Gedenken an Wilhelm Spiegel, erstes prominentes Opfer der Nationalsozialisten in Kiel


Am Sonntag, 12. März, ist es 90 Jahre her, dass der Kieler Rechtsanwalt und SPD-Stadtverordnete Wilhelm Spiegel in seinem eigenen Haus am Forstweg von Nationalsozialisten ermordet wurde. Die Kieler SPD lädt an diesem Tag um 15 Uhr an seinem Ehrengrab auf dem Alten Urnenfriedhof zu stillem Gedenken ein. Es sprechen die stellvertretende Kreisvorsitzende und Ratsfrau Christina Schubert sowie der ehemalige Landtagsabgeordnete Jürgen Weber.

Wilhelm Spiegel zog um die Wende zum 20. Jhdt. zum Jurastudium von Gelsenkirchen nach Kiel. Spätestens 1908 war er als niedergelassener Rechtsanwalt, dann auch als Notar hier tätig. Er genoss vor allem als Strafverteidiger überregional hohes Ansehen, da er sich für seine Mandanten einsetzte. Fälle, von denen er nicht überzeugt war, lehnte er ab. Er übernahm aber häufig die Verteidigung von Linken, ohne sich darum zu kümmern, dass ihm dies die Feindschaft der erstarkenden Rechtsradikalen eintrug.Ab 1924 war er auch aktiv im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, das er in Kiel mitgegründet hatte.

1932 vertrat er die Schleswig-Holsteinische Volkszeitung und ihren Chefredakteur Kurt Wurbs in einem Prozess gegen Adolf Hitler. Kurt Wurbs hatte im März geschrieben, Hitler bereite den Bürgerkrieg vor. Die NSDAP wollte ihm dies gerichtlich untersagen lassen und untermauerte ihren Antrag durch eine eidesstattliche Erklärung Hitlers zu seinen „friedlichen Absichten“. Zur Hauptverhandlung wollte Wilhelm Spiegel ihn persönlich vorladen. Es erschien jedoch nur SA-Chef Ernst Röhm, der die Vorbereitung eines Bürgerkrieges abstritt. Das Gericht akzeptierte dies und ignorierte die Hinweise des Anwalts auf den zunehmenden, vor allem von der SA ausgehenden Straßenterror. Die Nationalsozialisten gewannen den Prozess. Trotzdem war Wilhelm Spiegel spätestens jetzt in ihrem Visier.

Er hatte zwei weitere große Interessen: die Jüdische Gemeinde und die Kommunalpolitik.

1909 wählte Kiels Jüdische Gemeinde Wilhelm Spiegel zu ihrem stellvertretenden Vorsitzenden. Er blieb dies bis zu seiner Ermordung.

1911 wurde Wilhelm Spiegel zum Kieler Stadtverordneten gewählt. Von 1919 bis 1924 war er Stadtverordnetenvorsteher, dem Rang des heutigen Stadtpräsidenten entsprechend. Danach gab er das Amt wegen starker beruflicher Belastung wieder ab, blieb aber bis zu seiner Ermordung im Stadtparlament.

Er genoss auch als Persönlichkeit hohes Ansehen. Der spätere Journalist Karl Rickers erinnerte sich an einen „ungemein kühl wirkenden Mann, der seine politische Tätigkeit auf eine klare Intelligenz stützen konnte, gepaart mit einem ausgeprägten Wirklichkeitssinn.“ Überliefert ist auch die Einschätzung eines „alten Genossen Schulz“, zeitweilig Betriebsratsvorsitzender auf den Howaldtswerken:

„Ein für die Arbeiterbewegung ‚richtiger Intellektueller‘ war für ihn der Genosse Spiegel. Rechtsanwalt, Jude, Kommunalpolitiker in Kiel, der 1933 durch die Nazis ermordet wurde. Schade, daß er nicht der geeignete Mann dafür war, sich in der Partei selbst durchzusetzen. Der Mann habe zuhören können, sich in andere hineinversetzen, vermochte zu analysieren, theoretisch das Erkannte [zu] verarbeiten und praktische Maßnahmen zu erdenken. Ein wirklich feiner Mensch.“

Aus seiner politischen Überzeugung heraus griff Wilhelm Spiegel 1920 aktiv in den Kapp-Putsch ein. Es gelang ihm, mit einer Lokomotive von Altona aus Waffen für die Verteidiger der Republik nach Kiel zu schaffen. Später ging er allein und ohne Schutz als Unterhändler zu Putschisten und verhinderte so erhebliches Blutvergießen in Kiel.

Wilhelm Spiegel wusste von Aufrufen zu seiner Ermordung. Trotzdem ließ er in der Nacht zum 12. März 1933 um 1:30 Uhr zwei Männer der „Hilfspolizei“ ein, die ihn mit einem Schuss in den Hinterkopf umbrachten. Die Täterschaft wurde trotz erneuter Ermittlungen nach Ende der NS-Diktatur nie aufgeklärt.

Bei der Beisetzung auf dem Alten Urnenfriedhof bildeten Tausende von Kieler Arbeiterinnen und Arbeitern schweigend Spalier. Die Trauerrede hielt Otto Eggerstedt, ein enger Freund Spiegels, der nur Monate später selbst im Konzentrationslager umgebracht wurde. Jürgen Weber beschreibt die Szene:

„Der Trauerzug durch die Straßen der Stadt wurde zu einer letzten gewissermaßen stummen Demonstration des demokratischen, des republikanischen Kiels. Die Belegschaften von Werften und Fabriken hatten allen nationalsozialistischen Drohungen zum Trotz demonstrativ ihre Arbeit niedergelegt. Die vorsorglich in Alarmbereitschaft gesetzte Polizei hielt sich zurück.“

Die stellvertretende Kreisvorsitzende Christina Schubert sagte:

„Wilhelm Spiegel ist der Kieler SPD auch heute noch ein Vorbild für Verantwortungsbewusstsein, Zivilcourage und für die aktive Verteidigung demokratischer Werte in einem Umfeld, das diese Werte zunehmend ablehnte. Deshalb ist es uns wichtig, gerade heute an ihn zu erinnern.“