Oder warum wir lieber früher als später Investitionen tätigen sollten
Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz von einer Zeitenwende spricht, dann hat er damit in aller erster Linie die Neuaufstellung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik auf Grund des absurden russischen Angriffskrieges gemeint. Doch damit geht auch, nach einer Reihe von bedeutenden fiskalpolitischen Entscheidungen von Olaf Scholz in den vergangenen Jahren, ein neuer Weg der Finanzpolitik einher. Zur Bewältigung der Corona-Pandemie wurden erstmals nach Jahren des Sparens wieder Schulden aufgenommen, in Höhe von 130 Mrd. Euro. Daraufhin folgten 60 Mrd. Euro für einen Energie- und Klimafonds zur Bekämpfung des Klimawandels und nun 100 Mrd. Euro als Sondervermögen, um die Zeitenwende in der Bundeswehr einzuleiten. Auch die Länder reihen sich mit ihren aufgenommenen Notkrediten nahtlos in diese neue Finanzpolitik ein. Sosehr diese Entscheidungen größtenteils in Einstimmigkeit getroffen wurden, die unwissenden Behauptungen über die Aufnahme von Schulden zum Tätigen von notwendigen Zukunftsinvestitionen sind im konservativen Politkosmus noch immer dominierend.
Die Junge Union in Schleswig-Holstein hat erst kürzlich als Reaktion auf das Wahlprogramm der SPD Schleswig-Holstein und den Forderungen des Spitzenkandidaten Thomas Losse- Müller angekündigt, dass die Schuldenbremse nicht weiter gelockert werden darf. Das Bundesland noch weiter zu verschulden, sei „ein Schlag ins Gesicht für die junge Generation“. Doch was genau wäre eigentlich Generationengerecht im Sinne einer in die Zukunft gerichteten Finanzpolitik? Jetzt zu sparen und der jungen Generationen weniger Schulden zu hinterlassen oder jetzt in die zukünftige Lebenswelt der jungen Generation zu investieren und dafür Schulden aufzunehmen?
Viele junge Organisationen beschäftigen sich mittlerweile mit diesem Thema. Am bekanntesten sind das Dezernat Z und Fiscal Future. Beide Organisationen versuchen die in der Wissenschaft mittlerweile stark verbreiteten Ansichten zur Staatsverschuldung verständlich für die junge Generation aufzubereiten. Auf Basis der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist davon auszugehen, dass es sich bei dem Satz „Staatsverschuldung belastet künftige Generationen“ um einen Mythos handelt. Die wissenschaftliche Diskussion beschäftigt sich mittlerweile viel mehr mit dem Thema, wofür die aufgenommenen Schulden verwendet werden. Denn wenn notwendige Investitionen heute unterlassen werden, werden die fiskalischen Handlungsspielräume von morgen verringert. Entgegen vielen Behauptungen, dass Schulden an sich ein Problem darstellen, existiert in der Wissenschaft nicht mal ein definierter Wert, ab dem Schulden nicht mehr tragfähig sind.
Statt über die Schuldenbremse zu sprechen und in der heutigen Zeit einen Schuldenabbau zu forcieren, sollten wir uns eingestehen, dass wir uns das Sparen nicht mehr leisten können. In einem Bericht von 2019 des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) werden die notwendigen öffentlichen Investitionen auf rd. 450 Mrd. Euro in den nächsten 10 Jahren geschätzt. Das IMK stellt in dem Bericht viele Bereiche in den Mittelpunkt, die auch in einem Modernisierungsjahrzehnt in Schleswig-Holstein eine entscheidende Rolle spielen: Der ÖPNV muss flächendeckend ausgebaut werden, Hochschulen und die Förderung von Forschung und Entwicklung müssen finanziert werden, eine gezielte Wohnungsbauförderung ist dringend notwendig, der flächendeckende Ausbau von Breitband-Internet und 5-G-Netzen muss beschleunigt werden und die Wirtschaft steht mit der erforderlichen Dekarbonisierung vor einer immensen Herausforderung. Doch den größten Sanierungsstau beziffert das IMK mit rd. 140 Mrd. Euro in der kommunalen Infrastruktur, für die u.a. auch die Länder im Rahmen des kommunalen Finanzausgleiches mitverantwortlich sind.
Die Debatte in der Wissenschaft hat sich, im Vergleich zur sturen Positionierung der CDU Schleswig-Holsteins, in den letzten Jahren stark verändert, was sich auch in dem Jahresgutachten 2021/22 des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) widerspiegelt. Die Wirtschaftsweisen Monika Schnitzer und Achim Truger führen darin aus, dass eine Finanzierung der unbestritten notwendigen Investitionen nur über Steuererhöhungen, Ausgabenkürzungen oder eben einer Erhöhung der Nettokreditaufnahme gelingen kann. Auch wenn es laut dem SVR-Gutachten keine richtige Art der Finanzierung gibt, kann eine Kreditfinanzierung zukunftsbezogener öffentlicher Ausgaben aus ökonomischer Sicht sogar sinnvoll sein. Sie führen aus, dass „Nettoinvestitionen im Sinne der Generationengerechtigkeit durch Kreditaufnahme finanziert werden sollten“, da diese den Kapitalstock erhöhen und somit einen Nutzen für die zukünftigen Generationen bieten. Wenn man jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf diese Investitionen verzichtet, könne das in den kommenden Jahrzehnten zu höheren Steuern oder geringeren Staatsausgaben führen. Davon wäre die junge Generation somit deutlich stärker betroffen. Monika Schnitzer und Achim Truger empfehlen am Ende ihres Abschnitts, dauerhafte Möglichkeiten kreditfinanzierter Investitionen unter der Schuldenbremse auszuloten und diskutieren die unterschiedlichen Möglichkeiten, wie z.B. Sondervermögen oder öffentliche Investitionsgesellschaften.
Schleswig-Holstein steht in den kommenden Jahrzehnten vor riesigen Umbrüchen. Nach jahrelangem Kurshalten haben sich die Investitionen in den Bildungsbereich, die Digitalisierung und den Klimaschutz aufgestaut. Die dringend benötigten Investitionen lassen sich eben nicht nur durch Veränderungen des Steuersystems oder das Kürzen anderweitiger Investitionen erreichen. Die SPD Schleswig-Holstein hat sich im Wahlprogramm zum Ziel gesetzt, die finanztechnischen Voraussetzungen durch die Gründung von Investitionsgesellschaften, Modernisierung der Verfahrensregeln der Schuldenbremse und Ermöglichung kommunaler Investitionen auf Basis der Doppik zu schaffen. Denn nur mit einer fiskalpolitischen Zeitenwende, kann Schleswig-Holstein bestmöglich auf das bevorstehende Modernisierungsjahrzehnt vorbereitet werden.
– Peter Steinbrücke