Ein Beitrag von Georg Hitzing
Seit mehr als einer Woche herrscht nun Krieg in Osteuropa. Die Logik des kalten Krieges ist zurück und militärische Abschreckung und Nuklearwaffen sind wieder Teil der öffentlichen Diskussion. Dies ist sehr traurig und beängstigend für uns alle, insbesondere deshalb, weil Krieg seit langer Zeit sehr weit entfernt war. Nun müssen wir damit leben und uns darauf einstellen. Selbst wenn der Krieg in der Ukraine in den nächsten Wochen auf die eine oder andere Weise beendet werden sollte, wird uns das Thema noch jahrelang begleiten. Vor allem in der politischen Debatte zu Themen wie NATO, Militär, Russland oder China, aber auch ganz banal in Form von höheren Preisen für Öl und Gas. Dieser Artikel soll den Konflikt anschaulich erklären und allerlei Hintergrundwissen liefern, um die Berichte über die aktuelle Situation und deren Folgen verständlicher zu machen.
Verlauf der Invasion
Der Überfall Putins auf die Ukraine – Hintergründe und Folgen für ein besseres Verständnis Seit mehr als einer Woche herrscht nun Krieg in Osteuropa. Die Logik des kalten Krieges ist zurück und militärische Abschreckung und Nuklearwaffen sind wieder Teil der öffentlichen Diskussion. Dies ist sehr traurig und beängstigend für uns alle, insbesondere deshalb, weil Krieg seit langer Zeit sehr weit entfernt war. Nun müssen wir damit leben und uns darauf einstellen. Selbst wenn der Krieg in der Ukraine in den nächsten Wochen auf die eine oder andere Weise beendet werden sollte, wird uns das Thema noch jahrelang begleiten. Vor allem in der politischen Debatte zu Themen wie NATO, Militär, Russland oder China, aber auch ganz banal in Form von höheren Preisen für Öl und Gas. Dieser Artikel soll den Konflikt anschaulich erklären und allerlei Hintergrundwissen liefern, um die Berichte über die aktuelle Situation und deren Folgen verständlicher zu machen. Verlauf der Invasion In der Nacht zum 24.02.2022 begann das russische Regime (es handelt sich hierbei weder um das Land Russland noch um eine demokratische Regierung, das russische Volk ist dementsprechend nicht als verantwortlich einzustufen ) mit Luftangriffen auf die Ukraine, dicht gefolgt von der eigentlichen Invasion von Russland, Belarus und der seit 2014 russisch-besetzten Krim aus auf ukrainisches Territorium. Sehr schnell wurde die bereits seit Jahren von pro-russischen Seperatisten und ukrainischen Streitkräften umkämpfte Region der Ostukraine eingenommen und Kurs auf den Westen genommen. In derselben Nacht wurde auch Kiew von Luftlandetruppen angegriffen. Der Vormarsch kam schnell ins Stoppen, vor allem wegen der erbitterten Gegenwehr der ukrainischen Streitkräfte. Die Taktik des russischen Militärs war vermutlich, die Invasion durch die Besetzung der Hauptstand Kiew und Festsetzung der ukrainischen Führung zu so schnell wie möglich zu beenden. Zuerst rückten russische Truppen in bereits umkämpfte Regionen der Ostukraine um Donezk und Luhansk vor, um dann größere Städte wie Charkiw und Mariupol unter Raketenbeschuss zu belagern. Gleichzeitig sollten Luftlandetruppen (v.a. Fallschirmjäger) den Flughafen Kiew- Hostomel erobern, um dort mehr Truppen einfliegen zu können. Diese Taktik schlug fehl, anderenfalls wäre der Krieg bereits im Stadium eines Guerillakrieges. In den nächsten Tagen wurden viele größere Städte wie beispielsweise Kiew, Charkiw und Mariupol unter Beschuss genommen. Angeblich sollten ausschließlich militärische Ziele bombardiert werden. Allerdings wurden auch zivile Ziele wie Wohnblöcke, Bahnhöfe und Kraftwerke mutmaßlich angegriffen. Sollte dies stimmen, wäre dies ein Kriegsverbrechen. Seitdem verändert sich die Front nicht mehr viel, die Geländegewinne der russischen Streitkräfte sind eher gering. Auch Zivilisten leisten durch Blockaden Widerstand gegen die Invasoren. Alle tauglichen ukrainischen Männer werden eingezogen und bewaffnet, für Frauen ist dies freiwillig. Hundetausende Menschen fliehen in westukrainische Gebiete und in andere europäische Staaten. Derzeit versuchen die russischen Streitkräfte mit aller Kraft, die zweitgrößte Stadt der Ukraine Charkiw und einen Korridor entlang des Asowschen Meeres, also zwischen dem Landzugang zur Krim und dem bereits besetzen Gebiet um Donezk, zu erobern. Inzwischen ist es gelungen, einen Korridor zwischen dem mit Russland verbündenden Belarus und Kiew einzunehmen, wodurch die Stadt von Norden her belagert wird. Die Städte Charkiw, Mariupol und Kiew sind weiterhin Raketenbeschuss ausgeliefert. Mariupol sehr heftig, aber auch in Charkiw gibt es große Schäden und viele Tote und Verletzte. Der genaue Stand vor Ort ist schwierig einzuschätzen. Vieles deutet darauf hin das der Korridor inzwischen erobert und Mariupol umzingelt wurde, Charkiw befindet sich weiterhin unter ukrainischer Kontrolle wird aber weiterhin belagert und beschossen. Besonders die Lage in Mariupol scheint verheerend zu sein, da medialer Berichterstattung zufolge keine Waffenruhe zur Evakuierung der Bevölkerung und vermutlich zur geordneten Übergabe der Stadt eingehalten wird. Mutmaßlich werden auch hier zivile Ziele beschossen, eine Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Gütern ist nicht mehr gewährleistet. Während der Krieg weiter tobt, haben sich die ukrainische Regierung und das russische Regime auf Verhandlungen geeinigt, welche bereits seit mehreren Tagen stattfinden. Bis jetzt gibt es kein Verhandlungsergebnis.
Die Vorgeschichte
Das Ziel der russischen Führung unter Präsident Putin ist die Wiedererlangung wirtschaftlicher, politischer und militärischer Macht über den ehemaligen sowjetischen Einflussbereich. Hierzu zählen vor allem die früheren Teilrepubliken der Sowjetunion (u.a. Ukraine, Belarus, Moldawien, Estland, Lettland, Litauen, Georgien, Kasachstan), aber auch ehemalige mit der Sowjetunion durch den Warschauer Pakt verbündete Staaten in Osteuropa (u.a. Polen, Tschechien, ehemalige DDR).Diese Wiedererlangung wird vor allem durch wirtschaftliche Abhängigkeit und Unterstützung pro- russischer Regime umgesetzt, beispielsweise das ukrainische Regime um Präsident Janukowitsch, abgesetzt 2014, und das Regime um Präsident Lukaschenko in Belarus. Gewaltsame Inbesitznahme von Gebieten kommt seltener vor, ist aber auch ein schon lange bekanntes Mittel der russischen Führung. Insbesondere dann, wenn pro-russische Regime gestürzt werden oder Regime einen pro-westlichen Kurs verfolgen, erfolgt militärische Gewalt. Dies sah man bereits 2008 im Kaukasuskrieg gegen Georgien und im Krimkrieg 2014. Sowohl die Krim als auch Gebiete in Georgien sind bis heute von russischen Truppen besetzt. Ein NATO-Beitritt ist neben militärischer Aufrüstung ein probates Mittel für diese Staaten, um sich abzusichern. So bemühen sich Georgien und die Ukraine schon lange um einen Beitritt zur NATO. Die NATO würde Bündnisgebiet bei einem Angriff gemeinsam und kompromisslos verteidigen. In beiden Fällen fand ein Beitritt zur NATO bis jetzt nicht statt, um die russische Führung nicht zu provozieren. Mit Putins Vorgänger Medwedew bestand eine Absprache, dass den beiden NATO- Osterweiterungen 1999 (Polen, Tschechien und Ungarn) und 2004 (Estland, Lettland, Litauen, Slowakei, Slowenien, Rumänien und Bulgarien) keine weitere folgen würde. Im Gegenzug würde das russische Regime die territoriale Integrität der entsprechenden Staaten achten. Durch den Krieg 2008 ist diese Absprache nicht mehr gültig, wobei westliche Staaten nicht völlig unschuldig daran waren, da sich die Beziehungen westlicher Staaten zu Georgien 2007/8 intensivierten. Ein NATO-Beitritt erfolgte trotzdem weder für Georgien noch für die Ukraine. Im Jahr 2014 eroberte und annektierte das russische Regime schließlich die ukrainische Halbinsel Krim, nur kurz nachdem das pro-russische Regime um Janukowitsch im Zuge der Maidan-Proteste gestürzt worden war. Ebenso begannen pro-russische Separatisten in der Ostukraine um Donezk und Luhansk gegen die ukrainische Regierung zu kämpfen mit dem Ziel, eigene pro-russische Staaten zu gründen. Diese Separatisten werden mutmaßlich vom russischen Regime unterstützt, wodurch der Krieg dort bis heute anhält. Heute ist das Gebiet von russischen Truppen besetzt, wodurch der Konflikt nun von der russischen Invasion überlagert wird. Ein Teil des Gebietes ist bereits seit 2014 von pro-russischen Warlords besetzt. Die NATO-Staaten bemühten sich trotz der Krimbesetzung und des Krieges in der Ostukraine um Mäßigung, um die vorhandenen Konflikte nicht weiter anzustacheln. Diese Politik kann man nun als gescheitert ansehen.
Wie wird es weitergehen?
Nach vielen Tagen mit heftigen Gefechten tobt der Krieg noch immer und es ist kein Ende in Sicht. Insbesondere die russischen Streitkräfte werden hohe Verluste zu beklagen haben, die Schäden in der Ukraine dürfen immens sein. Die Taktik des russischen Militärs darf als gescheitert angesehen werden. Nun hängt es vor allem davon ab, wie lange sich die ukrainische Regierung noch verteidigen kann und die volle Staatsgewalt über ihr verbliebenes Staatsgebiet ausüben kann. Je länger noch Gegenwehr geleistet wird, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Invasion abgebrochen wird, da Kosten und Verluste von Tag zu Tag größer werden sowie die Unzufriedenheit der russischen Bevölkerung ansteigt. Der internationale Druck ist hoch, die Wirtschaftssanktionen westlicher Staaten schlagen voll ein und sind zweifellos die heftigsten seit jeher. Ein NATO-Eingriff ist weiterhin sehr unwahrscheinlich. Die NATO wird sich freiwillig in keinen Krieg mit Atomwaffen stürzen. Die Drohungen vom russischen Regime haben darauf keinen Einfluss. Allerdings besteht eine geringe Chance, dass die NATO westliche Gebiete der Ukraine militärisch unter Kontrolle bringt, um die Bevölkerung und die westlichen Botschaften in Lwiw (dt. Lemberg) zu beschützen. Es ist schwierig zu kalkulieren, wie das russische Regime darauf reagieren würde. Ein direkter Angriff auf die NATO bleibt aber auch dann sehr unwahrscheinlich, weil dies zu einen Einsatz von Atomwaffen führen würde, welcher unermessliche, noch nie dagewesene Schäden auf beiden Seiten verursachen und Millionen Zivilisten töten würde. Der Einsatz von Atomwaffen ist per se ein Kriegsverbrechen, da diese genau wie ABC-Waffen hauptsächlich die Zivilbevölkerung treffen würde. Es gibt folgende Möglichkeiten wie der Konflikt von nun an weitergehen wird, geordnet nach Wahrscheinlichkeit:
- Am wahrscheinlichsten: Es gelingt dem russischen Militär, Kiew, Charkiw und Mariupol und viel Gelände zwischen den Städten zu erobern. Dies würde zu einem Guerillakrieg führen mit weiterhin großen Verlusten auf beiden Seiten. So ein Krieg würde vermutlich Jahre dauern. Entscheidend ist, dass die ukrainische Bevölkerung gegen die Invasoren kämpfen wird, was die Verluste auf russischer Seite stark erhöhen wird. Die Frontlinie würde sich allmählich weiter nach Westen verschieben. Die NATO würde ihre Ostgrenze, wenn nötig, verteidigen und russische Truppen hinter beispielsweise Lwiw nicht tolerieren.
- Am zweitwahrscheinlichsten: Die russischen Truppen ziehen sich aus umkämpften Gebieten zurück und verbleiben in bereits besetztem Gebiet vor allem in der Ostukraine. Eine Garantie für einen geordneter Rückzug kann durchaus Teil einer Absprache zwischen den Kriegsparteien sein.
- Unwahrscheinlicher: Es wird ein Waffenstillstand ausgehandelt, die Frontlinie bleibt, wie sie zu dem Zeitpunk ist. Anschließend könnte es trotzdem weiter Kampfhandlungen geben.
Fazit
Wie auch immer der Konflikt ausgehen wird – die Folgen werden verheerend sein. Die Logik des kalten Krieges, der Aufrüstung und nuklearen Abschreckung ist zurück und drängender denn je. Dies ist zweifellos eine Zeitenwende – für unser Land und für unsere Partei. Idealisten-, Pazifisten- und bisherige RusslandversteherInnen müssen sich den Gegebenheiten anpassen. Die Zeit ist vorüber, wo nur mittels wirtschaftlicher Verbindungen und Abhängigkeiten die Welt sicherer gemacht werden konnte und friedlich blieb. Frieden ist von nun an nicht mehr garantiert. Wir werden unsere Lebensweise und unsere Demokratie verteidigen müssen – und hoffen natürlich alle, dass dies nicht mit Gewalt erfolgen muss. Trotzdem dürfen wir Gewalt nicht länger ausschließen, weil es die Diktatoren und Autokraten auf der Welt sicherlich auch nicht tun werden. Die Rede von Bundeskanzler Scholz in der Sondersitzung des Bundestages am 27.02.2022 lässt vermuten, dass Taten der Bundesregierung und der NATO folgen werden. Wir sollten uns bewusst sein, dass die chinesische Führung ganz genau auf unsere Reaktion und unsere Wehrhaftigkeit blickt. Vermutlich liegen in der sprichwörtlichen Schreibtischschublade von Diktator Xi Jinping Pläne für die Eroberung Taiwans. Die chinesische Führung wird mit ihren Großmachtphantasien ebensowenig an irgendeiner Staatsgrenze stoppen wie die russische Führung. Die Skrupellosigkeit von Putin und Xi darf man nicht unterschätzen, man kann nur hoffen, dass der Bevölkerung von Russland und China klar wird, dass ein Krieg ihnen schadet. Auch Diktatoren brauchen ihre Bevölkerung, wenn auch viel weniger als Demokratien.
– Georg Hitzing