Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist gerade für Menschen ein Drahtseilakt, die im Alltag auf sich alleine gestellt sind. Auch deshalb sind viele Alleinerziehende arbeitslos. Doch der Fachkräftemangel könnte dieser Gruppe neue Chancen eröffnen. Denn viele Alleinerziehende haben Fachkenntnisse, die nicht abgerufen werden. In Kiel leben 2864 erwerbsfähige leistungsberechtige Alleinerziehende (zu 94 % Frauen). 1186 von ihnen sind arbeitslos, das sind über 40 %.
Die meisten von ihnen werden nicht von der Agentur für Arbeit sondern vom Jobcenter betreut, welches hauptsächlich Menschen betreut, die noch nie gearbeitet haben oder länger als ein Jahr ohne Arbeit sind. Dies zeigt, dass es sich um ein verfestigtes Problem handelt. 845 der Alleinerziehenden sind erwerbstätig und müssen trotzdem aufstockende Leistungen beziehen, weil das Gehalt nicht zum Leben ausreichen würde. Welche Hindernisse bestehen gerade für alleinerziehende Frauen und Männer, eine reguläre Arbeit aufzunehmen? Dieser Frage widmete sich die SPD-Ratsfraktion mit Experten auf der Fachveranstaltung „Arbeit statt Armut: Verlässliche Kinderbetreuung – Ein Schlüssel zum Erfolg“ am 28.02.2012 (Bilder der Veranstaltung finden Sie hier). An dieser Veranstaltung nahmen ca. 70 Gäste aus Industrie und Handel, kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie VertreterInnen von Bildungsträgern, Frauennetzwerken und Wohlfahrtsverbänden teil. Als Gesprächspartner standen neben Gesa Langfeldt, Fraktionsvorsitzende der SPD-Ratsfraktion, auf dem Podium: – Michael Stremlau, Geschäftsführer des Jobcenters – Iris Diekelmann, Jugendhilfeplanerin der Stadt Kiel – Catrin Schneider, Sachbereichtsleiterin der Kindertagespflege Kiel – Klaus-Dieter Schischke, Prokurist bei der Wulff Textil-Service GmbH – Hartmut Klotz, Obermeister des Landesinnungsverbands des Friseurhandwerks und der Kosmetiker Schleswig-Holstein Michael Stremlau, Geschäftsführer des Jobcenters, wies daraufhin, dass gerade junge Frauen mit Kindern oft keine abgeschlossene Berufsausbildung haben. Doch wer allein zu Hause verantwortlich sei, bringe Organisationskraft und andere Fähigkeiten mit. Aufgrund des demographischen Wandels gäbe es inzwischen sogar mehr Ausbildungsplätze als BewerberInnen. Es wäre klug, dieses Potential zu heben und gleichzeitig vielen Alleinerziehenden einen sozialen Aufstieg zu ermöglichen. Das Bildungssystem müsse noch viel flexibler werden und situationsgerecht Bildungsmöglichkeiten anbieten. Und: Immer mehr Betriebe bieten Teilzeitausbildungen an, die ermöglichen, Familienarbeit und Ausbildung miteinander zu vereinbaren. Doch damit Frauen aus der Armutsfalle kommen und nicht mehr auf ergänzende Leistungen angewiesen sind, sollte allen Frauen ermöglicht werden, nicht nur Teilzeit sondern auch Vollzeit arbeiten zu können. Iris Diekelmann, verantwortlich für die Kindertagesstättenbedarfsplanung der Stadt Kiel, sieht den Ausbau der Kindertagesstätten auf einem guten Weg. Schon Ende dieses Jahres wird der gesetzliche Anspruch einer Versorgungsquote im U3-Bereich von 35 % erreicht werden. Insgesamt gibt es 12.000 Betreuungsplätze im Kita-Bereich. Und die Stadt Kiel wird die Betreuungsquote in den nächsten Jahren weiter steigern. Zusätzlich wurde mit einem Ratsbeschluss die bedarfsgerechte Betreuung von Kindern in Randbetreuungszeiten verbessert. Die Kindertageseinrichtungen seien also flexibler als viele denken. Doch obwohl der Bedarf vorhanden sei, werde dieses Angebot nicht ausreichend abgerufen. Catrin Schneider stellte die Möglichkeiten der Kindertagespflege vor, die gerade für Kinder unter 3 Jahren eine sehr gute Alternative zu den Kindertageseinrichtungen darstellen. Das System der Kindertagespflege sei sehr flexibel. Neben der „normalen“ Betreuung von Kindern durch eine Tagesmutter im eigenen Zuhause oder im Haus der Tagesmutter seien auch andere Modell denkbar. So gäbe es durchaus auch die Möglichkeit, die Tagespflege in die Unternehmen zu holen. Auch Unternehmen können einiges tun, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen. Klaus-Dieter Schischke, Prokurist bei der Firma Wulff, berichtet davon, dass dieses Problem in seinem Unternehmen schon vor vielen Jahren angegangen wurde. Zwei Drittel der 170 Beschäftigten sind heute Frauen. Um auf die individuellen Bedürfnisse der MitarbeiterInnen eingehen zu können, gibt es 59 Arbeitszeitmodelle, ein Jahresarbeitszeitkonto und die Möglichkeit Kinder in einer Wellseer Kita unterzubringen. Der Betriebsrat weise die MitarbeiterInnen regelmäßig auf ihre Rechte hin. Leitsätze werden offen mit den Mitarbeitern kommuniziert, was auch ein Zeichen von Wertschätzung sei. Durch diese Strategien stünden der Firma genügend MitarbeiterInnen zur Verfügung – trotz Fachkräftemangel. Denn das Merkmal Familienfreundlichkeit spiele inzwischen sowohl für Frauen als auch für Männer, eine wichtige Rolle bei der Auswahl des Arbeitgebers. Harmut Klotz, Obermeister der Friseurinnung und Besitzer eigener Friseur-Salons, informiert über die Schwierigkeiten für Frauen mit Kindern in seiner Branche. Leider seien die Löhne immer noch viel zu niedrig und aufgrund der festen Öffnungszeiten seien flexible Arbeitszeitmodelle sehr schwer einzuführen. Doch auch Alleinerziehende könnten ein Stück weit umdenken. Viele Bewerber suchten eine Beschäftigung täglich von 9 bis 13 Uhr. Dabei seien zwei volle Tage und ein halber leichter zu organisieren – und für Arbeitgeber attraktiver, weil so eine Vollzeitstelle mit zwei Personen besetzt werden könne. Wir haben aus der Veranstaltung neue Impulse mitgenommen, wie Familie und Beruf besser vereinbart werden können. In der Stadt Kiel gibt es schon viele Kinderbetreuungsmöglichkeiten, die jedoch nicht allen bekannt sind und deshalb häufig nicht abgefragt werden. Vorhandene kommunale Instrumente wie z.B. flexible Randzeitenbetreuung sind konsequenter umzusetzen und zu bewerben. Auch die Kindertagespflege kann flexibel auf Einzelfallsituationen reagieren. Außerdem gibt es noch freie Plätze in der Tagespflege. Wir wollen gemeinsam mit der Stadt evaluieren, inwieweit die auf unsere Initiative im Jahr 2009 eingeführte flexible Randzeitenbetreuung wirklich umgesetzt wird und bekannt ist. Es müssen ggf. geeignete Maßnahmen entwickelt werden, um allen zu ermöglichen, dass vorhandene Angebot auch anzunehmen. Es hat sich auch gezeigt, dass lokale Bündnisse unterschiedlicher Akteure entscheidend sind, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen. Wir wollen daher den Informationsaustausch zwischen dem Jobcenter und der Landeshauptstadt Kiel institutionalisieren. In einem Modellversuch zur Doppelvermittlung von Ausbildungs- und Betreuungsplatz sollen 50 Alleinerziehende in Arbeit gebracht werden. Aus der Diskussion hat sich ein weiteres Hindernis auf dem Weg zur vollständigen Vereinbarkeit von Familie und Beruf herauskristalliert: Kinder von Angestellten, die nicht aus Kiel kommen, werden nicht automatisch betreut. Unsere Botschaft an das Land lautet daher: Ähnlich wie bei den Schulen („Schullastenausgleich“) muss es auch hier zwischen den Gemeinden Ausgleichsleistungen für die Kinderbetreuung geben. Bei der nächsten Veranstaltung sitzt dann hoffentlich auch ein Landrat dabei – denn der Arbeitsmarkt endet nicht an den kommunalen Grenzen. Wir gehen davon aus, dass die Gäste Ideen für Initiativen mitgenommen haben, damit mehr Alleinerziehende und Eltern arbeiten können. Wichtig ist, dass sich alle in Kiel in diesem Bereich aktiven Akteure vernetzen, um voneinander zu lernen und miteinander Ideen und Projekte zu entwickeln. Schon jetzt müssen sich alle Unternehmen auf den Fachkräftemangel einstellen. Gerade im Mittelstand gibt es bisher nur wenige Unternehmen, die sich offen mit diesem Thema auseinandersetzen. Firmen werden attraktiver, wenn sie flexible und familienbewusste Arbeitszeitsysteme einführen. Unser Fazit: Durch effizienteres Handeln und vor allem durch niedrigschwellige Angebote und Strukturen im Bereich Arbeit und Ausbildung werden wir es schaffen, mehr Menschen den sozialen Aufstieg zu ermöglichen. Damit bauen wir Armut und das Armutsrisiko ab. Die Vermittlung von Arbeitsplätzen für Alleinerziehende und Betreuungsplätzen für Kinder ist als Gesamtpaket anzusehen. Mit diesem Ansatz werden wir die Frauenarbeitslosigkeit nachhaltig eindämmen. Maßnahmen der jetzigen schwarz-gelben Bundesregierung wie die Herdprämie sind vor dem demographischen Wandel nicht zu verantworten!