Eigenständigkeit der Stadtwerke Kiel


Anlässlich der Ratsversammlung am 10. Juni 2010 hat die Vorsitzende der SPD-Ratsfraktion Kiel, Ratsfrau Gesa Langfeldt, eine viel beachtete Rede gehalten, deren Wortlauf wir hier wiedergeben.

Sehr geehrte Frau Stadtpräsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
wenn wir heute mit diesem Dringlichkeitsantrag den Oberbürgermeister  auffordern wollen, sich für den Erhalt der Eigenständigkeit unseres Energieversorgers einzusetzen, dann ist daran vor allem eines bemerkenswert: alle demokratischen Fraktionen und Ratsmitglieder stellen diesen Antrag gemeinsam. Das zeigt die Geschlossenheit in dieser Frage über die Parteigrenzen hinweg. Umso höher ist dieser Antrag zu bewerten.
Lassen Sie mich zu Beginn meiner Ausführungen kurz zurückblicken: Als wir  im Jahr 2004 nach der Insolvenz von TXU einen neuen Partner für die Stadtwerke Kiel suchten, haben wir uns ganz bewusst für die MVV Energie AG entschieden. Wir wollten einen starken Partner, der weiß, wie ein Stadtwerk tickt. Und die MVV hatte diesen Stallgeruch. Das Modell eines Stadtwerke-Netzwerks, wie ihn die MVV anstrebte, hat uns überzeugt. Das war die richtige Alternative zu den zentralistisch ausgerichteten Energiekonzernen wie RWE, EnBW, Vattenfall oder e.on. Vor allem aber überzeugte uns die Ankündigung des neuen Miteigners, eine Partnerschaft auf Augenhöhe anzustreben.
Und die MVV hat ihren Worten Taten folgen lassen: Das Stadtwerke-Netzwerk war immer eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Jeder Partner konnte seine eigenen Stärken einbringen und hat von den Stärken des anderen zusätzlich profitiert. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass es gelingen kann, Synergien zu heben und Kosten zu senken, ohne die Eigenständigkeit der Beteiligten aufzugeben. Die Gründung gemeinsamer Service-Gesellschaften für die Abrechnungen und die IT sind hierfür gute Beispiele. Das Netzwerk hat eine sehr gute Entwicklung genommen. Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass unsere damalige Entscheidung richtig war. Wir wollten 2004 die Kooperation mit MVV und wir wollen sie auch heute noch, meine sehr  geehrten Damen und Herren.
Natürlich kennen wir die Bedingungen auf dem Energiemarkt. Natürlich wissen wir, dass der Markt sich mit unglaublicher Geschwindigkeit entwickelt. Und natürlich wissen wir um den enormen Wettbewerbsdruck, der die Akteure immer wieder vor neue Herausforderungen stellt.

Dieser Druck und ständige neue Vorgaben der Bundesnetzagentur zwingen die
Energieversorger immer wieder, Kosten zu senken und zu sparen, um  wettbewerbsfähig zu bleiben. Auch die Stadtwerke Kiel sind von diesem Druck betroffen; sie haben eingespart und in zwei Restrukturierungsprojekten 2004 und 2008 bereits 400 Arbeitsplätze abgebaut. Um die Handlungsfähigkeit des Unternehmens auch zukünftig zu gewährleisten, ist es ist erforderlich, weitere Kostensenkungspotenziale zu erschließen. Dem können wir uns nicht  verschließen und dem wollen wir uns auch nicht verschließen.
Die große Mehrheit der Ratsversammlung ist aber der Meinung, dass der jetzt mit dem Projekt „Einmal Gemeinsam“ eingeschlagene Weg droht, in die falsche Richtung zu gehen. Es ist zu befürchten, dass die Eigenständigkeit der Stadtwerke Kiel auf dem Altar der Zentralisierung geopfert werden soll. Eine Zentralisierung, die, nach allem was bisher bekannt ist, einseitig zu Lasten der kommunalen Beteilungen der MVV in Kiel und Offenbach gehen soll, um in
Mannheim Arbeitsplätze zu sichern. Eine Zentralisierung, die zum Ziel hat, Konzernstrukturen zu schaffen, um von Mannheim aus die Fäden zu ziehen und den Einfluss der kommunalen Anteilseigner auszuschalten. Wenn das so kommt – und so ist der Schlussakkord der Begründung unseres interfraktionellen Antrages zu verstehen – wird MVV dem Anspruch eines Agierens auf Augenhöhe nicht mehr gerecht. Wir befürchten, dass das Projekt „Einmal Gemeinsam“ bereits wesentlich weiter fortgeschritten ist als öffentlich bekannt.

Mit unserem Antrag fordern wir daher den Oberbürgermeister auf, hier gegenzusteuern. Es liegt im ureigenen Interesse der Stadt Kiel als Anteilseigner wie auch der Stadtwerke-Kunden und der Menschen in der gesamten Region, diesem Begehren rechtzeitig einen Riegel vorzuschieben. Der Kieler Energieversorger muss ein integriertes Stadtwerk bleiben. Eines,  das vom Vorstand der Stadtwerke Kiel gesteuert wird und das von seiner Aufstellung her in der Lage ist, eigenständig eine sichere und kostengünstige Versorgung der Region mit Energie und Trinkwasser zu gewährleisten. Eines, das schon von weitem als eigenständiges Unternehmen, als eigenständige Marke wahrgenommen wird und nicht als Niederlassung eines Konzerns mit
Sitz in Mannheim.

Es ist falsch, um der Kostensenkung willen Steuerungs- und  Leitungsfunktionen aus Kiel abzuziehen und damit im Übrigen auch die energiepolitischen Gestaltungsmöglichkeiten der Stadt Kiel zu beschneiden. Der Weg muss vielmehr der sein, dass man Wachstumschancen konsequent nutzt – etwa im Bereich der erneuerbaren Energien, beim intelligenten  Ausbau dezentraler Erzeugungsstrukturen oder beim Angebot von Contracting – Modellen für die Wärmeversorgung. Das sind die Wachstumsfelder, mit denen die Stadtwerke Wertschöpfung generieren können. Wertschöpfung in Kiel und in der Region.

Die Pläne, die die MVV Energie AG mit „Einmal Gemeinsam“ realisieren will, haben über das rein wirtschaftliche hinaus noch eine weitere Dimension: Es geht auch um eine kulturelle Frage, eine Frage der gegenseitigen Wertschätzung, ob man den Betriebsrat und die Beschäftigten in so wichtige Planungen mit einbindet oder nicht. Einen Betriebsrat, der sich in den letzten Jahren sehr kooperationsbereit und fachlich kompetent gezeigt hat. Eine
Belegschaft, die die Umstrukturierungen der letzten Jahre mitgetragen hat.

Wir freuen uns, dass wir heute zahlreiche Kolleginnen und Kollegen der Stadtwerke Kiel begrüßen können. Herzlich willkommen! Ihr könnt Euch sicher sein: wir stehen fest an Eurer Seite!
Liebe Ratskolleginnen und -kollegen, ich freue mich sehr, dass wir uns alle einig sind: Kiel braucht auch zukünftig ein voll funktionsfähiges Stadtwerk mit allen Steuerungs- und Lenkungsfunktionen vor Ort. Ein Stadtwerk light am Standort Kiel ist keine Perspektive für die Region. Denn noch eines möchte ich an dieser Stelle erwähnen:

Die Stadtwerke Kiel sind nicht nur ein leistungsfähiger und sicherer Energieversorger, sie sind auch ein sozialer und wirtschaftlicher Partner für die Region. Ich nenne hier an erster Stelle das Engagement des Unternehmens für die Ausbildung. Über 100 Auszubildende sind bei den Stadtwerken beschäftigt. Mehr als 30 junge Leute beginnen in jedem Jahr ihr Berufsleben bei den Stadtwerken und erhalten dort eine hoch qualifizierte Ausbildung. Dabei müsste das Unternehmen das gar nicht tun – die Stadtwerke bilden seit Jahren über den eigenen Bedarf hinaus aus. Aber es ist eben Teil des Selbstverständnisses unserer Stadtwerke, der Region, in der sie wirtschaftet, auch etwas zurückzugeben. Wir wollen, dass das so bleibt.

Das große Engagement für den Jugendsport, das jährliche Segelcamp hier bei uns in Kiel.Sailing City und das Eisfestival sind weitere Beisiele für diese Philosophie. So profitieren alle Menschen in dieser Region von einem eigenständigen, leistungsstarken Stadtwerk.

Diese Ratsversammlung will, dass das auch zukünftig so bleibt. Darin stecken die Chancen für Kiel und seine Stadtwerke und damit auch für die MVV Energie AG. Die Chancen liegen eben nicht in der Rationalisierung nach Labor-Erfahrungen und Lehrbuch-Kenntnissen von Unternehmensberatern.
Mein Appell geht an dieser Stelle ausdrücklich an die Verantwortlichen bei der MVV Energie AG:

Wir stehen zu der Kooperation mit Ihnen. Wir glauben an einen dritten Weg in der Energieversorgung zwischen Weltkonzernen und rein kommunaler Energieversorgung. Wir wollen weiterhin mit Ihnen diesen Weg beschreiten und auf Augenhöhe zusammenarbeiten.

Schauen Sie sich noch einmal genau an, was Sie für Ihre jetzigen Pläne alles opfern würden.

Sie gäben den dritten Weg auf.
Die Entscheidung darüber, welche Pläne Sie dem Konsortialausschuss und dem Aufsichtsrat der Stadtwerke Kiel präsentieren werden, können wir Ihnen nicht abnehmen. Aber eines kann ich Ihnen schon heute ankündigen: Im Fall einer einseitigen Arbeitsplatz- und Aufgabenverlagerung zulasten der Stadtwerke Kiel werden Sie auf den entschiedenen Widerstand der Kieler Ratsversammlung stoßen. Und an diesem Widerstand werden Sie sich eine blutige Nase holen!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.