Mit ihrer Entscheidung vom 26.5.2010, die Städtebauförderung in Schleswig-Holstein weiterzuführen, hat die Landesregierung die Tür für die Entwicklung der Kieler Innenstadt offen gehalten. Dass künftig nicht alle Bundesmittel gebunden werden sollen, bedeutet, dass Kiel sich besonders anstrengen muss, um in die Förderung zu kommen.
Für die Landeshauptstadt kann das jetzt nur heißen, umgehend die Hausaufgaben zu erledigen und ein förderfähiges Sanierungsgebiet vorzugsweise im Bereich der Altstadt auszuweisen. Damit werden Projekte wie die Sanierung der Konzerthalle, der Wasserverbindung vom Kleinen Kiel zum Bootshafen und die Umgestaltung der Eggerstedtstraße förderfähig und realistisch in ihrer Umsetzung.
Wenn in Kürze die Pläne zum Umbau des ehemaligen Karstadtgebäudes am Alten Markt vorliegen, kann die Stadt parallel dazu ihren Teil der Innenstadtgestaltung ebenfalls darstellen. In anliegendem Positionspapier nehmen wir ausführlich Stellung zur aktuellen Situation der Innenstadtentwicklung und den Entwicklungen der letzten zwölf Monate.
Dies erklären zur Entscheidung der Landesregierung, die Städtebauförderung weiterzuführen, Dr. Hans Friedrich Traulsen und Dirk Scheelje, baupolitische Sprecher der Ratsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen.
Entwicklung der Kieler Innenstadt aus Rot-Grüner Perspektive
Von Dirk Scheelje und Hans-Friedrich Traulsen
Der Zustand der Kieler Innenstadt wird häufig beklagt. Dabei steht vornehmlich das Niveau des Einzelhandels am Pranger: Ständig wechselnde Läden von Billigketten in der mittleren Holstenstraße, Leerstände im Leik, Schließung der Altstadtfiliale von Karstadt.
Diese Umstände sind jedoch von Seiten der Stadt nur wenig beeinflussbar.
Wohl aber kann städtische Politik Rahmenbedingungen setzen, die die Voraussetzung für eine Verbesserung der Situation darstellen: Klare Ansagen für Investoren verbunden mit öffentlichen Investitionen zur Attraktivierung der Innenstadt.
Dabei war die Ausgangslage in der Kieler Innenstadtentwicklung zu Beginn der Rot-Grünen Kooperation 2008 denkbar kompliziert. Die Zukunft des Karstadt/Leik-Areals war wegen der Schwierigkeiten des Karstadt-Konzerns und der Leerstände im Leik ungewiss. Daneben standen konkurrierend Planungen für zwei weitere große Einzelhandelszentren im Raum: Die
Rathausgalerie und das ECE-Konzept für eine Citymall rund um das Schlossareal einschließlich des Neubaus einer kostspieligen Fördephilharmonie. So wurde die Existenz des Kieler Schlosses ebenso aufs Spiel gesetzt wie der dazu gehörige Konzertsaal, der dringend einer Sanierung bedarf, um eine baldige Schließung zu verhindern.
Die politische Aufgabenstellung bestand nun darin, in diese z.T. widerstreitenden Umstände Ordnung zu bringen und Prioritäten festzulegen. In dieser Situation hat sich Rot-Grün dafür entschieden, als ersten Schritt für die Rathausgalerie ein geordnetes Bebauungsplanverfahren einzuleiten. Vor allem aber wurde beschlossen, in einem breiten Beteiligungsverfahren die
anstehenden Fragen öffentlich zu diskutieren und Meinungen aus der Bevölkerung einzuholen.
Dieses Verfahren hat deutlich gemacht, wohin die Mehrheitsmeinung in Kiel tendiert. Die Kielerinnen und Kieler wollen keinen Abriss des Kieler Schlosses, sondern eine behutsame Entwicklung dieses Areals. Sie wollen eine Attraktivierung der Innenstadt und gute Einkaufsmöglichkeiten, aber sie haben große Zweifel, ob ein weiterer erheblicher Zuwachs an Einkaufsflächen für die Stadt verträglich ist. Sie wollen mehr Wohnmöglichkeiten und durchaus auch touristische Attraktionen. Daraus ergeben sich folgende Grundlinien zur Innenstadtentwicklung:
- Kein geschichtsloser Umgang mit dem Schlossareal, Umgestaltung statt Abriss
- Vorrang für die Entwicklung des Altstadtareals einschließlich einer Nachfolgelösung für Karstadt am Alten Markt
- Aufwertung der Innenstadt durch Maßnahmen wie die Wasserverbindung zwischen Kleinem Kiel und Altem Markt, Neugestaltung der Eggerstedtstraße.
- Aufwertung der Museumslandschaft einschließlich eines möglichen Museumsneubaus am Schifffahrtsmuseum
- Erhöhung des Wohnanteils
- Neugestaltung des Holstenplatzes, möglicherweise als Shared Space
Konkret sahen sich in der Bürgerbeteiligung sowohl die Planungen der Ratshausgalerie als auch die der ECE am Schlossareal deutlichen Vorbehalten ausgesetzt, die sich vor allem auf die Frage konzentrierten, wie viel Verkaufsfläche die Innenstadt über eine Neugestaltung des Karstadt/Leik Areals hinaus verträgt.
Rot-Grün hat daraus schon 2009 die politische Konsequenz gezogen, als Schwerpunktstandort für Einzelhandel den Bereich Karstadt/Leik festzulegen, von dessen weiterer Entwicklung die Zukunft der Rathausgalerie abhängig zu machen und einer City-Mall am Schloss eine Absage zu erteilen.
Da die Innenstadt jedoch weit mehr ist als eine Funktion von Handel, sollen parallel dazu die Anstrengungen für die Neugestaltung der Innenstadt mit Nachdruck vorangetrieben werden. Hierzu wurden folgende Initiativen ergriffen:
- Erarbeitung eines Sanierungsgutachtens für die Konzerthalle
- Einwerbung von Städtebauförderung von Bund und Land für die Attraktivierungsmaßnahmen der Innenstadt und Vorbereitung der Ausweisung des Schlossareals als Sanierungsgebiet
- Einwerbung von Tourismusfördergeldern als Kompensation für das vom Land abgesagte Science Center
- Festlegung eines Wohnanteils von 25% bei neuen Vorhaben
- Einrichtung eines Innenstadtforums zur permanenten Beiteilung wichtiger Akteure der Kieler Innenstadt
Nach knapp einem Jahr lässt sich feststellen, dass die Rot-Grüne Strategie, durch klare Verfahren und konkrete Projektplanungen für einen entscheidenden Fortgang der Entwicklung zu sorgen, aufgegangen ist:
Bereits zum Jahreswechsel 2009/21010 geriet Bewegung in die zuvor ungewisse Zukunft des Karstadtgebäudes am Alten Markt. Der Projektentwickler Matrix hat das Gebäude gekauft und legt Ende Mai eine Planung für ein Geschäftshaus vor, die sicherstellt, dass im priorisierten
Areal auch weiterhin attraktive Einkaufsmöglichkeiten bestehen. Zwar konnte die von vielen gewünschte gemeinsame Entwicklung mit dem Leik-Gebäude so voraussichtlich nicht verwirklicht werden, aber der drohende dauerhafte Leerstand an dieser Stelle ist vermieden.
Sobald endgütig geklärt ist, wie viel Verkaufsfläche hier entsteht und mit welchen Angeboten zu rechnen ist, wird darüber zu entscheiden sein, ob die Kieler Innenstadt noch ein weiteres Einkaufszentrum verträgt. Dies kann nach Lage der Dinge nur die Rathausgalerie sein. Eine Entscheidung hierfür setzt allerdings neben dem weiteren Interesse des Investors voraus, dass
das Einkaufszentrum sich direkt zur mittleren Holstenstraße öffnet und der angestrebte Wohnanteil von 25 % realisiert wird.
Seit dem Frühjahr 2010 rücken auch die Attraktivierungsmaßnahmen der Innenstadt in greifbare Nähe. Aus dem Städtebauförderungsprogramm des Landes zur Aktivierung von Innenstädten könnten sich mehrere Maßnahmen finanzieren lassen:
Für den Konzertsaal liegt ein Sanierungsgutachten vor, wonach diese für etwa 12 Mio € zu sanieren ist. Zusätzlich sechs Mio. € werden für einen Anbau zur Attraktivierung veranschlagt. Die Städtebauförderung kann einschließlich eines Stadtanteils von 2 Mio € hierzu 6 Mio € beitragen. Inwieweit Stadt und Land darüber hinaus Haushaltsmittel bereitstellen, wird erst entscheidbar sein, wenn ein klares Finanzierungskonzept vorliegt, dass nunmehr schleunigst entwickelt werden muss, um die drohende baldige Schließung zu verhindern.
Auch die Wasserverbindung von Kleinem Kiel und Bootshafen und der Umbau der Eggerstedtstraße sind aus der Städtebauförderung realisierbar.
Das Land hat sich darüber hinaus bereit erklärt, in einen gemeinsamen Planungsprozess für ein Bündel touristischer Attraktivierungsmaßnahmen einzutreten, der neben einem Museumsneubau ebenfalls die Wasserverbindung zwischen Kleinem Kiel und Bootshafen und andere Einzelmaßnahmen beinhaltet.
Damit sind wesentliche Eckpfeiler für die Innenstadtentwicklung gesetzt, die nun entschieden vorangebracht werden müssen.
Die Finanzsituation von Bund, Ländern und Kommunen lässt erwarten, dass die finanziellen Spielräume in den nächsten Jahren immer geringer werden. Daraus lässt sich schließen, dass für Investitionsentscheidungen wie die genannten große Eilbedürftigkeit besteht, auch um jahrelangem Stillstand in der Innenstadtentwicklung zuvorzukommen.
Es handelt sich um für Kiel angemessene und realistischerweise erreichbare Ziele. Wir fordern deshalb die anderen politischen Fraktionen der Ratsversammlung auf, sich unserem Kurs anzuschließen. Wie bei der Beethovenhalle in Bonn oder dem Kölner Schauspielhaus ist eine neue
Bescheidenheit angebracht. Gerade die Sanierung und Attraktivierung des Konzertsaals könnte aktuell den wichtigsten Impuls zur Belebung der Altstadtinsel darstellen. Es ist vollkommen unstrittig, dass eine Landeshauptstadt wie Kiel neben Sparkassenarena, Schauspiel- und Opernhaus einen Veranstaltungsort wie den bestehenden Konzertsaal benötigt. Sein Angebot, das von Philharmonischen Konzerten und SHMF über Kabarettabenden zu Volkstümlicher Musik und Heavy Metal reicht, erfreut sich bereits jetzt großer Beliebtheit. Diese lässt sich durch eine bauliche und technische Anpassung an heutige Standards noch deutlich steigern.
Genauso wie es sich als richtig herausgestellt hat, bei der Einzelhandelsentwicklung auf eine realistische Planung zu setzen und klare Prioritäten herauszuarbeiten, bietet es sich also auch bei der Entwicklung des Schlossareals als vielleicht dem wichtigsten Entwicklungsgebiet der
Innenstadt an, auf bescheidenere aber umsetzbare Pläne zu setzen. Besser allemal, als die Schließung in Kauf zu nehmen, verbunden mit einer unkalkulierbaren anderweitigen Nutzung des Gebäudes.
Dem Motto unseres Kooperationsvertrags „Die Stadt gestalten“ entsprechend hielten wir es für einen Fehler dieser Aufgabe auszuweichen, sondern plädieren dafür sie mit Realitätssinn anzugehen.